Dienstag, 19. Dezember 2017

Endlich OBM

9.30 h
Geschafft. Endlich geschafft.
Ich lasse mich in den weichen, opulenten Ledersessel fallen und streiche mit meiner Hand über das hochglanzlackierte Tropenholz des Schreibtisches. Mit einem beherzten Griff befördere Ich den Mont Blanc Meisterstück-Kugelschreiber aus der Innentasche meines Jacketts und lege ihn sorgfältig in die Mitte des mitgebrachten Schreiblocks (Motiv Katzenbabies) in dem ich gestern Nacht noch die Ersten Notizen für die Dekrete verfasst habe, die ich gedenke, diese Woche, meiner ersten Woche als Oberbürgermeister, zu erlassen. Dann lasse ich meinen Blick durch das neu gestaltete Amtszimmer streifen, betrachte den noch leeren Platz für mein Portrait in Öl, dass ich schon bald in Auftrag geben werde.
Noch immer warte ich auf den bei meiner Sekretärin bestellten Cappucino und das Glas mit Gummibärchen, selbstverständlich nur die roten, die sie aus den 10 Haribo-Tüten aussortieren muss, die ich ihr eben auf den Schreibtisch gelegt habe. Ich stehe wieder auf, gehe zum Podest, auf dem die Kette des Bürgermeisters liegt, nehme Sie auf, hänge sie mir um den Hals und betrachte mich im dahinter hängenden Spiegel. Höchste Zeit, das Stadtwappen durch meine Initialien ersetzen zu lassen. Bevor ich die Dekrete erlassen werde, sollte ich mit internen Dienstanweisungen beginnen. Sich langsam steigern und den großen Dingen die Zeit lassen, die sie brauchen, denke ich bei mir.
Das mit dem Cappuccino dauert mir entschieden zu lang. "FROLLEIN SCHALLUPKE!" "Ja Chef, ick bin gleich fertich" tönt es halblaut und ein wenig unglücklich hinter der halboffenen Flügeltür. Dann ein Rascheln und das Klirren von Geschirr. Frollein Schaluppke, eine Pankowerin, die seit 20 Jahren hier lebt und arbeitet, kommt eilig in das Büro und stellt mir den Cappuccino und ein Glas roter Gummibärchen auf den Schreibtisch. Ich nicke ihr wohlwollend zu, während ich mit den Fingern über das Metall der Bürgermeisterkette fahre. "Is noch wat, Chef?" Zeit für eine erste Dienstanweisung.
 Ich öffne die Tüte, mit der ich kurz vor Dienstbeginn den 1-Euro-Markt verlassen habe, ziehe mit theatralischer Geste meine Beute heraus und halte sie in die Luft, wie Newton seinen symbolischen Apfel, schaue darauf, als wäre es eine Errungenschaft, die die ganze Zivilisationen zu den Sternen bringen könnte. Ich denke an den Affen mit seinem Knochen in Stanley Kubricks 2001. Internet. Nano-Technologie. Perpetuum Mobile. Frollein Schalluppke starrt ungläubig auf das Ding in meiner Hand. "Notieren Sie: Jeder Mitarbeiter des Rathauses, vom einfachen Sachbearbeiter bis hin zur Pressesprecherin hat ab dem heutigen Tag bei öffentlichen Terminen einen solchen Herzchenhaarreif zu tragen." ich setze mir den Herzchenhaarreif selbst auf, nicke kurz mit dem Kopf, woraufhin die beiden rotglitzernden Plastikherzchen an ihren Federn panisch zu wippen beginnen. Ich starre Frollein SCHALLUPKE beifallheischend an, während mein Zeigefinger auf meinen Kopf mit den wippenden Herzen deutet. Frollein SCHALLUPKE starrt zurück. Sie stammelt: "... Chef?". "Schreibenseuff, Schallupke, schreibenseuff...!" erwidere ich in einem Tonfall, der einerseits motivierend ist, andererseits keinen Zweifel an der Genialität meiner Entscheidung zulässt. Mit ersten Tränen in den Augen notiert Frollein Schallupke in ihr schwarzes Büchlein, während ich den Haarreif zurück in die Tüte zu den anderen 50 lege und die Tüte dann demonstrativ in ihre Richtung halte. Frollein Schallupke schließt ihr Büchlein, nimmt mir, wenn auch etwas zögerlich, die Tüte ab und verlässt mein Dienstzimmer. "wenn se meinen, Chef..." Sie ahnt, dass sich hier einiges verändern wird.
10.30 h
Ich habe sämtliche Mitarbeiter des Rathauses gebeten, sich zum gemeinsamen Kennenlernen im Foyer einzufinden. Frollein Schallupke ist bereits ab 10.15 h dort und weist die Mitarbeiter an, sich – nach alter Väter Sitte – in einer Reihe aufzustellen. Als ich das Foyer betrete, steht die gesamte Belegschaft dort in Reih und Glied, auch wenn ich sehe, dass die Schallupke viel Kraft und Überzeugung gebraucht hat, um meinen Wunsch durchzusetzen. Sie ist zittrig, wirkt erschöpft, und ihre Augen haben diesen ganz spezifischen tränennassen Glanz. Ihre Oberlippe bebt, während ca. 40 Kollegen in den letzten Minuten gelernt haben, sie abgrundtief zu hassen. Die meisten wirken sehr verärgert. Ich steige die Treppe zum Foyer lässig herab, einen Cognac-Schwenker in der Hand, und mustere meine Untergebenen. Ein leichtes Raunen geht durch die Reihe, während ich sie abschreite. Unverständnis kommt bei einigen Mitarbeitern auf, die ich – ebenfalls alter Väter Sitte – am Ohr ziehe. Zum Mittag möchte ich mein erstes Dekret vorlagenfähig haben. Erst mal etwas einfaches, dass für jedermann verständlich und schnell umsetzbar ist. Mit kompliziertem, politisch schwer Vermittelbarem – wie etwa die von mir noch nicht ganz durchdachten Säuberungen aufgrund ausgewählter Anfangsbuchstaben von Familiennamen oder einer allgemeinen Pioniers-Grußpflicht – befasse ich mich später. Ich schlage meinen Block (Motiv Katzenbabies) auf, blättere durch die karierten Seiten und finde etwas passendes. Sorgfältig übertrage ich mein stadtweites Verbot von Schweinskopfsülze auf das Büttenpapier in der Ledermappe vor mir, setze das Amtssiegel und unterschreibe ausladend. Mittagspause.

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