Mittwoch, 20. Dezember 2017

Größer als Gott


Damals
in Krefeld
als sie alle
zu mir aufgesehen haben
die Männer
die Frauen
die Erfolgreichen
damals
als mir die halbe Stadt gehörte
sie mich alle um Rat fragten
der Klügste der Familie
damals
als ich mein Glück teilte
Abenteuer bestritt
Völker entwickelte
half
wo es nur ging
Frauen zum Schreien brachte
Welle um Welle
Männer zum Weinen
mit der Schönheit
der Exzellenz
die in mir war
dann kam ein Umbruch
Raum und Zeit
Damals

Könnte sein

dass da irgendetwas ist
dass du nicht verstehst
nicht begreifst
nicht siehst
von ihr
jenseits von
küchenblöcken
erfolgsverwöhnt
fussballclub
mutterpflichten
gemachten titten
buchhaltung
audi
scheidung
deutschpop
dem glas rotwein am abend
nicht entscheiden wollen
haltung bewahren
wertesystem
dem haus in der vorstadt
zeichentrickfilmen
harmonie
könnte sein

Nur noch

nur noch
dieses eine Mal
sie schmecken
nur noch
dieses eine Mal
ihr Lachen
ihre Hände,
die sie versteckt
unter dem Tisch
als wären sie nicht gut genug
ihre Aufregung
nur noch
dieses eine mal
ihren Gang
ihren Duft
ihre Lust
ihren Mund
nie mehr
ihr Leben
ihren Zweifel
ihre Angst
ihr richtig und falsch
ihre Aufregung
dieses eine Mal
nur noch
meine Idee
in ihrer Hülle

Dienstag, 19. Dezember 2017

Endlich OBM

9.30 h
Geschafft. Endlich geschafft.
Ich lasse mich in den weichen, opulenten Ledersessel fallen und streiche mit meiner Hand über das hochglanzlackierte Tropenholz des Schreibtisches. Mit einem beherzten Griff befördere Ich den Mont Blanc Meisterstück-Kugelschreiber aus der Innentasche meines Jacketts und lege ihn sorgfältig in die Mitte des mitgebrachten Schreiblocks (Motiv Katzenbabies) in dem ich gestern Nacht noch die Ersten Notizen für die Dekrete verfasst habe, die ich gedenke, diese Woche, meiner ersten Woche als Oberbürgermeister, zu erlassen. Dann lasse ich meinen Blick durch das neu gestaltete Amtszimmer streifen, betrachte den noch leeren Platz für mein Portrait in Öl, dass ich schon bald in Auftrag geben werde.
Noch immer warte ich auf den bei meiner Sekretärin bestellten Cappucino und das Glas mit Gummibärchen, selbstverständlich nur die roten, die sie aus den 10 Haribo-Tüten aussortieren muss, die ich ihr eben auf den Schreibtisch gelegt habe. Ich stehe wieder auf, gehe zum Podest, auf dem die Kette des Bürgermeisters liegt, nehme Sie auf, hänge sie mir um den Hals und betrachte mich im dahinter hängenden Spiegel. Höchste Zeit, das Stadtwappen durch meine Initialien ersetzen zu lassen. Bevor ich die Dekrete erlassen werde, sollte ich mit internen Dienstanweisungen beginnen. Sich langsam steigern und den großen Dingen die Zeit lassen, die sie brauchen, denke ich bei mir.
Das mit dem Cappuccino dauert mir entschieden zu lang. "FROLLEIN SCHALLUPKE!" "Ja Chef, ick bin gleich fertich" tönt es halblaut und ein wenig unglücklich hinter der halboffenen Flügeltür. Dann ein Rascheln und das Klirren von Geschirr. Frollein Schaluppke, eine Pankowerin, die seit 20 Jahren hier lebt und arbeitet, kommt eilig in das Büro und stellt mir den Cappuccino und ein Glas roter Gummibärchen auf den Schreibtisch. Ich nicke ihr wohlwollend zu, während ich mit den Fingern über das Metall der Bürgermeisterkette fahre. "Is noch wat, Chef?" Zeit für eine erste Dienstanweisung.
 Ich öffne die Tüte, mit der ich kurz vor Dienstbeginn den 1-Euro-Markt verlassen habe, ziehe mit theatralischer Geste meine Beute heraus und halte sie in die Luft, wie Newton seinen symbolischen Apfel, schaue darauf, als wäre es eine Errungenschaft, die die ganze Zivilisationen zu den Sternen bringen könnte. Ich denke an den Affen mit seinem Knochen in Stanley Kubricks 2001. Internet. Nano-Technologie. Perpetuum Mobile. Frollein Schalluppke starrt ungläubig auf das Ding in meiner Hand. "Notieren Sie: Jeder Mitarbeiter des Rathauses, vom einfachen Sachbearbeiter bis hin zur Pressesprecherin hat ab dem heutigen Tag bei öffentlichen Terminen einen solchen Herzchenhaarreif zu tragen." ich setze mir den Herzchenhaarreif selbst auf, nicke kurz mit dem Kopf, woraufhin die beiden rotglitzernden Plastikherzchen an ihren Federn panisch zu wippen beginnen. Ich starre Frollein SCHALLUPKE beifallheischend an, während mein Zeigefinger auf meinen Kopf mit den wippenden Herzen deutet. Frollein SCHALLUPKE starrt zurück. Sie stammelt: "... Chef?". "Schreibenseuff, Schallupke, schreibenseuff...!" erwidere ich in einem Tonfall, der einerseits motivierend ist, andererseits keinen Zweifel an der Genialität meiner Entscheidung zulässt. Mit ersten Tränen in den Augen notiert Frollein Schallupke in ihr schwarzes Büchlein, während ich den Haarreif zurück in die Tüte zu den anderen 50 lege und die Tüte dann demonstrativ in ihre Richtung halte. Frollein Schallupke schließt ihr Büchlein, nimmt mir, wenn auch etwas zögerlich, die Tüte ab und verlässt mein Dienstzimmer. "wenn se meinen, Chef..." Sie ahnt, dass sich hier einiges verändern wird.
10.30 h
Ich habe sämtliche Mitarbeiter des Rathauses gebeten, sich zum gemeinsamen Kennenlernen im Foyer einzufinden. Frollein Schallupke ist bereits ab 10.15 h dort und weist die Mitarbeiter an, sich – nach alter Väter Sitte – in einer Reihe aufzustellen. Als ich das Foyer betrete, steht die gesamte Belegschaft dort in Reih und Glied, auch wenn ich sehe, dass die Schallupke viel Kraft und Überzeugung gebraucht hat, um meinen Wunsch durchzusetzen. Sie ist zittrig, wirkt erschöpft, und ihre Augen haben diesen ganz spezifischen tränennassen Glanz. Ihre Oberlippe bebt, während ca. 40 Kollegen in den letzten Minuten gelernt haben, sie abgrundtief zu hassen. Die meisten wirken sehr verärgert. Ich steige die Treppe zum Foyer lässig herab, einen Cognac-Schwenker in der Hand, und mustere meine Untergebenen. Ein leichtes Raunen geht durch die Reihe, während ich sie abschreite. Unverständnis kommt bei einigen Mitarbeitern auf, die ich – ebenfalls alter Väter Sitte – am Ohr ziehe. Zum Mittag möchte ich mein erstes Dekret vorlagenfähig haben. Erst mal etwas einfaches, dass für jedermann verständlich und schnell umsetzbar ist. Mit kompliziertem, politisch schwer Vermittelbarem – wie etwa die von mir noch nicht ganz durchdachten Säuberungen aufgrund ausgewählter Anfangsbuchstaben von Familiennamen oder einer allgemeinen Pioniers-Grußpflicht – befasse ich mich später. Ich schlage meinen Block (Motiv Katzenbabies) auf, blättere durch die karierten Seiten und finde etwas passendes. Sorgfältig übertrage ich mein stadtweites Verbot von Schweinskopfsülze auf das Büttenpapier in der Ledermappe vor mir, setze das Amtssiegel und unterschreibe ausladend. Mittagspause.

Montag, 18. Dezember 2017

Besoffener Affe

Und so lange sitzt du da, überschätzt, überbewertet, schaust in dieses Lächeln, schaust in diese Augen, lauschst auf diese Stimme. Ahnst, weisst, dass du in diesen Momenten aussiehst wie dieser von ihr besoffene Affe, der du nun mal bist. Ertrinkst fast darin, in diesem Lächeln, das gerade für Dich ist, aber eigentlich nichts mit Dir zu tun haben sollte. Nicht kann.
Dass du in dieses Lächeln schaust, ist Gottesbeweis, dass es für dich ist, die Antithese. Der Agnostiker in dir steckt dem Betrüger in dir kleine Häppchen Zweifel in den Mund. Irgendwann wird er kommen, der Hammer. von links oder rechts. Du könntest den Kopf wegziehen, in eine andere Richtung schauen. Zwei Sekunden vorher vielleicht, vielleicht eine. Aber hey, dann könntest du sie diese eine Sekunde nicht kosten, nicht sehen, nicht hören, nicht fühlen, nicht denken.

Du kleiner, besoffener Affe.

Paradies

Fahrrad geklaut
Stadt in Aufruhr
Nächte in Angst
Vielleicht ein Geräusch an der Tür
Man hört so viel
Seitdem sie da sind
Rentenlücke Ost West
Ausländerfrau war freundlich zum Kind
Polizei war da auch mal schneller
Parkautomat kaputt
Jetzt 50 Meter zum nächsten
Wenn man schon mal einen Parkplatz hat
Diese Enttäuschung
Diese Kränkung
Dass es nicht aufhört
Dass es nie aufhört
Dem Kanaken mit Blicken ins Gesicht gerotzt
Das fünfte Mal
Jetzt grüßt er nicht mehr
Was der sich einbildet
Nicht mal hier ist man noch sicher
Sie haben Dir auf den Arsch geschaut
Gottseidank gibt es Schutzräume
Festungen
Dein Haus
Deinen Garten
Wieder ein Kunde
Dieses Arschloch
Hartes Leben
35 Stunden die Woche
Diese Enttäuschung
Diese Kränkung
Dass es nicht aufhört
Dass es nie aufhört
Gottseidank
Gibt es Türkei
Gottseidank
Gibt es Dubai
Gottseidank
Tauchen in Ägypten
Man lebt ja nur einmal
Du könntest Ihnen
Das Paradies auf Erden bereiten
Es würde keine Rolle spielen

Größer als Gott

Damals in Krefeld als sie alle zu mir aufgesehen haben die Männer die Frauen die Erfolgreichen damals als mir die halbe Sta...